Pathologisierung oder hilfreiche Diagnostik

Pathologisierung oder hilfreiche Diagnostik – vom Umgang mit der ICD 10

Ein hilfreicher Umgang mit den Diagnosen der ICD 10 ist – wie fast alles – eine Frage der je konkreten Kontextualisierung. Es geht nicht um eine rein ideologische Frage von ‚falsch’ oder ‚richtig’, zutreffend oder wahr, sondern um die Frage, was im Gespräch und in der gemeinsamen Arbeit mit Hilfesuchenden unterstützend und handlungsleitend ist.

 

Eine hilfreiche Einordnung der ICD 10 und ihrer Diagnosen ist aus meiner Sicht, sie als menschlich/gesellschaftlich hergestellte Cluster/Zusammenfassungen von menschlich/gesellschaftlichen Wahrnehmungen von menschlichen Phänomenen zu sehen – einschließlich der darin menschlich/gesellschaftlich hergestellten Unterscheidung von krank und gesund, von normal und nichtnormal, von sollsosein/sollnichtsosein. Darüber hinaus bilden sie in unserer Gesellschaft die Grundlage für den Zugang zu gesellschaftlich zur Verfügung gestellten Ressourcen, sprich Kassenleistungen.

 

Was in ihnen nicht oder kaum vorkommt, sind die Zusammenhänge und Wechselwirkungen bzw. Koproduktionen von Gesellschaft und Individuum. Diagnosen können zu übermäßigen Substantivierungen und Identifizierungen einladen, sie können zu Erstarrungen und übermäßiger Hilflosigkeit beitragen.
Sie stellen aber auch ein Handwerkszeug zur Versprachlichung und zum Ausdruck von Leid dar, sie erlauben Benennungen, helfen anzuerkennen und zuweilen adäquate Unterstützung zu finden.

 

Für einen hilfreichen Umgang mit Diagnosen ist nicht nur wichtig, welche Haltung Sie als professionelle Helfer*innen dazu haben, sondern auch, wie Sie mit der Haltung und Positionierung oder Selbstsicht Ihres Klientels umgehen – insbesondere dann, wenn sie anders ist als Ihre eigene.